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Sprachauffälligkeiten im GRIFF

Klar zu äußern, was uns auf der Zunge liegt, kann immer wieder eine Herausforderung sein, wenn wir auch sonst keine sprachlichen Probleme haben. Wenn Stottern, Lispeln  oder Mudismus uns zusätzlich hemmen, werden Kommunikation und Kontakt erschwert und vielleicht sogar unser gesamtes Selbstbild in Frage gestellt. Berührung und Auseinandersetzung mit dem Material Tonerde kann hier wertvolle Überbrückungshilfen schaffen. So können "Sprachwerkzeuge", wie Lippen oder Zunge, nachtrainiert, Sprachbarrieren abgebaut und Selbstermächtigung fassbar werden.

mundlos glücklich?

„Ich wwwill…“ Auch wenn ich selbst davon nur indirekt betroffen war: die stockenden Redeversuche meines Bruders sind mir aus der Kindheit sehr drastisch in qualvoller Erinnerung geblieben.  Und fast noch schlimmer: die damals als fortschrittlich propagierten Therapieansätze, die Eltern von Kindern mit gestörtem Redefluss (= Balbuties) etwa zu einem mehrwöchigen stationären Aufenthalt rieten, wo sie in völliger Isolation von ihrer Familie behandelt wurden, lesen sich heute wie ein Krimi.


Mir selbst hatte als Kind schon die Erfahrung gereicht, dass uns die Englischlehrerin in der Volksschule - eine ältere Britin - ohne Zögern in den Mund fuhr, um uns die Laute der englischen Sprache richtig zu entlocken.

 

Achtsamund Fürsorglich

Aus heutiger beruflicher Erfahrung weiß ich: wenn Kinder sprachliche Probleme zeigen, ist ihnen mit ganz besonderer Achtsamkeit und Fürsorge zu begegnen, denn meist handelt es sich um äußerst sensible Kinder.

 

Oft sind die Ursachen für die sprachlichen Herausforderungen bei sehr frühen Kränkungen, traumatischen Erfahrungen oder transgenerationell weitergegebenen Dispositionen zu finden - wie letzteres auch bei meinem Vater und Bruder der Fall war.

 

Stottern, Poltern, Lispeln, Schweigen…

Doch die Ursachen für mögliche Probleme im Sprachbereich werden häufig auf der lautlich-stimmlichen bzw. kognitiven Ebene gesucht. Die Bedeutung der Haptik bleibt größtenteils unbeachtet. Und das, obwohl viele kindliche Entwicklungsschritte zunächst durch das Berühren und Berührt-werden eingeleitet werden. 


Unser Intellekt entfaltet sich im Wechselspiel mit unseren körperlichen Fähigkeiten auf einem biologisch vorgezeichneten Weg. So ist die Sprache der Wörter ganz eng verbunden mit der Sprache unseres Körpers. Wir lernen – sehr-sehr vereinfacht gesagt - über das Be-greifen zunächst sehr diffuse Erfahrungen immer klarer zu er-fassen, zu klassifiziert, zu symbolisiert und das Ganze auch in Worte zu fassen (= zu verbalisieren). 

 

 

Die Stimme er-greifen

In meiner Arbeit kann ich verbale Blockaden zum Beispiel auch an Greif-Hemmungen, stockenden Bewegungen oder entsprechenden Spannungs- und Entspannungsmustern erkennen. Durch das Ansprechen und Variieren der Bewegungsmuster, verändern sich auch die Sprechmechanismen.

 

So fangen Kinder etwa an, gleichzeitig mit den Sprechwerkzeugen, dem Kiefer, der Zungenmuskulatur oder dem Lippenbereich, zu experimentieren. Oder sie finden zu einer entspannteren Atmung im Brustkorb…. 


Ein 8-Jähriger baut sich mit Tonerde einen Aufsatz, um mit dem Kiefer darauf liegen zu können und so in eine neue Haltung mehr Entspannung zu finden. Eine 12-Jährige fängt an, mit der Zunge den Mundraum neu zu erforschen während sie gleichzeitig mit der Hand über das Tonfeld streicht.

 

Eine Erwachsene gräbt mit einem Finger Löcher in das mit Tonerde gefüllte Feld und erprobt unterschiedlichste Kehlkopflaute. Ein 10-Jähriger nimmt einen inneren Rhythmus auf und trommelt mit den Handflächen auf Holzrahmen und Tonfeld. Ein bisher wortkarger Teenager verspürt auf einmal ein großes Mitteilungsbedürfnis – und, und, und...

 

Arbeit mit Kindern mit Migrationshintergrund

Ganz besonders profitieren auch Kinder mit anderen Erstsprachen von der präverbalen Methode Arbeit am Tonfeld, wenn sie des Deutschen noch nicht so mächtig sind. Traumatisierende Erlebnisse von Krieg und Flucht können so zunächst rein körperlich adressiert und bearbeitet werden.

 

Oft wird auch die alte Heimat in Bildern und Formen dargestellt und schrittweise kann ein positives Gefühl für das neue Zuhause verankert werden. Auch dabei ist immer wieder zu beobachten, wie die zunächst verwaschene, unsichere Sprache immer klarer und präziser wird. Oder auch das scheinbare Stocken beim Erwerb der neuen Sprache plötzlich einem immer fließenderen Sprachgebrauch weicht.

 

Kooperationen gefragt

Aber Achtung: In keiner Weise soll in diesem Artikel die wichtige Arbeit von Logotherapeut:innen, Sprachpädagog:innen oder sonstigen Expert:innen in Frage gestellt werden. Nicht zuletzt, da die Tonfeldarbeit auch sicher nicht in allen Fällen zielführend ist. Die passende Vorgansweise sollte immer individuell abgeklärt werden und hängt auch stark von den persönlichen Vorlieben ab. 


Jedenfalls: Alle, die gerne mit Tonerde kreativ sind, lade ich herzlich ein, die Gelegenheit zu ergreifen und zu erkunden, wie ihnen das BE-GREIFEN Herz und MUND öffnet!