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Schlüssel zur Unterstützung neurodivergenter Kinder

Kinder mit Autismus, ADHS, Dyskalkulie, Legasthenie, Dyspraxie oder Hochbegabung handeln und funktionieren zumeist nicht den gesellschaftlichen Erwartungen entsprechend. Die sensorische und somatosensorische Wahrnehmung und Integration stellen für viele dieser neurodivergenten Menschen eine große Herausforderung dar. Häufig wird sie durch schwierige Schwangerschaften, Geburtstraumata oder negative Erfahrungen in der frühen Kindheit verzerrt. In der Prozessbegleitung muss ich diese komplexen Bedürfnisse erkennen und geeignete Ansätze wählen, um den betroffenen Menschen zu helfen, sich mit ihrer Umgebung in Einklang zu bringen.

 

 

Was passiert im sensorischen Kortex?

Der sensorische Kortex ist ein Teil des Gehirns, der für die Verarbeitung der Sinneseindrücke zuständig ist. Es gibt zwei Hauptaspekte dieses Systems: den exterozeptiven (äußere Sinnes-wahrnehmung) und den interozeptiven (Innensensibilität, wie Herzfrequenz oder Atmung). Bei traumatisierten oder neurodivergenten Menschen ist diese Wahrnehmung oft gestört, was zu einer Überforderung des Nervensystems führen kann.

 

Wutanfälle aus Überforderung

Viele Kinder, insbesondere solche mit Autismus-Spektrum-Störung, erleben das Umfeld als überwältigend. Reize wie laute Geräusche, das Berühren bestimmter Texturen oder der Wechsel von Räumen können Angst und Verwirrung auslösen. Was oft als Wutanfall oder Ungehorsam wahrgenommen wird, ist in Wirklichkeit häufig eine Reaktion auf eine überfordernde Welt, in der sich das Nervensystem der Kinder in ständiger „Konfrontation“ mit ihrer Umgebung befindet.

 

Die Bedeutung der Sicherheit

Stephen Porges’ Polyvagaltheorie erklärt, dass unser autonomes Nervensystem auf Sicherheit oder Gefahr reagiert. Für neurodivergente Menschen ist es entscheidend, dass sie Sicherheit erfahren. Nur wenn diese Sicherheit gegeben ist, können sie mit ihrer Umwelt und mit sich selbst in Einklang kommen. Diesen gefahrfreien Raum zu schaffen, erfordert Zeit, Geduld und eine bewusste Verlangsamung der Handlungsabläufe. Durch sanftes, langsames Vorgehen können diese Menschen eine positive sensorische Erfahrung machen, die sich von der üblichen Überstimulation unterscheidet.

Schrittweise Heranführung an neue Sinneserfahrungen

Ein wichtiger Teil der Prozessarbeit besteht darin, Klient:innen schrittweise neue sensorische Erfahrungen zu ermöglichen. Dies könnte bedeuten, dass man sie behutsam an das Berühren von Materialien wie Wasser, Farbe oder Ton heranführt, die sie anfangs als bedrohlich empfinden. Zunächst geht es darum, eine Toleranz für sensorisches Feedback zu entwickeln, indem ich eventuell auch Materialien einführe, die weniger intensiv sind, etwa kinetischen Sand oder nicht klebrige Texturen.

Sensorische Integration als Weg zur Selbstregulation

Es ist wichtig, dass der Prozess langsam und behutsam voranschreitet, um die inneren Verbindungen des Gehirns neu zu organisieren und den Lernenden zu helfen, ihre inneren Impulse zu regulieren. Wenn die Integration von Sicherheit und sensorischem Feedback erfolgreich ist, erleben die Kinder oft ein Gefühl von Erfüllung und emotionaler Sättigung. Sie haben nichts „produziert“, aber sie haben eine sichere Beziehung zu sich selbst und der Welt erfahren.

 

Die heilende Kraft der Haptik

Die Prozessarbeit auf der haptischen Ebene kann neurodivergente Kinder und Erwachsene auf dem Weg zu mehr Sicherheit und Integration begleiten. Durch eine achtsame und langsame Heranführung an sensorische Erfahrungen wird es möglich, tiefgreifende Heilungsprozesse zu initiieren. Letztlich geht es darum, den Menschen zu ermöglichen, sich selbst und ihre Welt als sicher und berechenbar zu erleben – eine Grundlage für emotionale, kognitive und soziale Entwicklung.

 

Siehe auch dazu englischen Blogartikel von Cornelia Elbrecht.